„Die Zeit des Schweigens ist vorbei“ – Proteste bei NPD-Aufmarsch

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Es war ein Paradestück bundesdeutscher Behördenpolitik: tage- und wo­chenlang versuchte die Güstrower Verwaltung die Proteste gegen den an­gekündigten NPD-​Aufmarsch in Güstrow-​Dettmannsdorf zu behindern. Sämtliche Protestveranstaltungen, dazu gehörten neben Kundgebungen und Mahnwachen auch ein Friedensfest, sollten weit weg von der Nazirou­te verlegt werden. Erst eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Greifs­wald erwirkte Freitag abend die Zulassung zweier Kundgebungen in Hör- und Sichtweite des geplanten Naziaufmarsches.

Jahrestag der Machtübergabe
Knapp 300 Nazis waren dem Aufruf der NPD gefolgt, um gegen ein geplan­tes Flüchtlingsheim in der Stadt zu wettern. Die NPD legte ihren Auf­marschtermin ausgerechnet auf den 23. März, dem 80. Jahrestag der Be­schließung des sogenannten „Reichsermächtigungsgesetzes“ von 1933. Mit diesem Gesetz wandelten die Nazis die Weimarer Republik endgültig in ihren „Führerstaat“ um.

Jüdischer Friedhof vor braunem Mob geschützt
Die ursprüngliche Route der NPD führte über fünf Kilometer quer durch die Stadt, mit zwei Kundgebungen und vorbei am ehemaligen jüdischen Fried­hof in Güstrow. Doch schon vor dem Beginn des Aufmarsches kam es zu Verzögerungen. Der urspruüglich für 10Uhr geplante Aufzug verspätete sich um fast anderthalb Stunden. Erst kurz vor halb zwölf sollte es für die braunen Kameraden losgehen. Schon bevor die Nazis überhaupt einen Meter weit gegangen waren, stand bereits die Mahnwache vor dem jüdi­schen Friedhof. Hier würden die Nazis nicht vorbeilaufen. Etwa 150 Men­schen blockierten schließlich die Straße, sodass die Nazis notgedrungen abdrehen mussten. Ihre Marschroute verkürzte sich auf rund die Hälfte. Während der beiden NPD-​Kundgebungen sprachen neben den NPD-​Land­tagsabgeordneten Stefan Köster und Michael Andrejewski auch Sebastian Schmidkte Vorsitzender der NPD Berlin. Angekündigt wurde er als Redner aus der „Reichshauptstadt“. Obwohl den Nazis der jüdische Friedhof ver­wehrt blieb, konnten sie in der Nähe des künftigen Flüchtlingsheim mar­schieren. Mit Rufen wie „Wir kriegen euch alle“ und „Deutschland den Deutschen“ heizten sich die Nazis gegenseitig an, von einer breiten Zu­stimmung in der Bevölkerung konnte dabei – trotz massiver Ressenti­ments gegen die in den kommenden Monaten nach Güstrow ziehenden Flüchtlinge bei den Güstrower_Innen – kaum erheischen.

Fazit
Die Proteste gegen Naziaufmärsche, egal ob in den größeren Städten oder im ländlicheren Gebieten, haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Selbst in den vermeintlichen Homezones der Nazis entfaltet sich zuneh­mend starker Widerstand. Trotz der kurzen Mobilisierungszeit von nicht einmal einem Monat und dem skandalösen Verhalten der Behörden des Landkreises Rostock in Bezug auf die Proteste, kann und muss von einem guten Teilerfolg gesprochen werden. Kombinat Fortschritt wertete den Tag folgender Maßen:

„Die Frage des Erfolgs oder Nichterfolgs für die NPD sollte differenziert betrach­tet werden. Wird als Bewertungsmaßstab ein tatsächlicher Mobilisierungs-​ und Agitationseffekt durch den Aufmarsch angelegt, so muss konstatiert wer­den, dass Neonazi-​Demos der jüngsten Zeit ganz klar am Ziel vorbeischießen. Durch Gegenproteste werden die Routen regelmäßig verkürzt oder verlaufen in völlig unattraktiven Gegenden. […] Wahrscheinlicher hingegen ist die Ein­schätzung, dass die Demonstrationen nur noch in die Szene hineinwirken sol­len, bzw. ein „Geschenk“ zum pushen einer lokalen Szene sind. […] Die Mobili­sierung und der Verlauf des Tages kann aber als solide bezeichnet werden. An­gesichts der kurzen Mobilisierungszeit kann die linke Zivilgesellschaft zufrie­den sein. Die NPD muss weiterhin mit Einschränkungen rechnen und kann nicht die Routen laufen, die sie ursprünglich als Wunschstrecke angemeldet hatte. […] Im Flächenland MV wird in Zukunft weiterhin jeder antifaschisti­sche Erfolg das Ergebnis harter Arbeit sein.“

Die Antirassistische und Antifaschistische Initiative Güstrow (ARAF) be­dankte sich bei allen, die in der Stadt auf die Straße gegangen sind. “Es war toll für uns, so einen Protest in Güstrow zu sehen. Die Zeit des Schwei­gens ist vorbei. Es war ein Anfang.“ ließ die Initiative im Internet verlauten. Auch künftig werden Nazis in Güstrow also nicht mehr ungestört agieren können.

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